EMS-Press

Online Magazin des Freifachs Journalismus und Medien der EMS Schiers

Wie das «N» an einen neuen Namen kam

Tabea. Plitsch. Platsch. Plitsch. Platsch.

Das liest sich schneller als es gemeint ist, zwischen einem Plitsch und einem Platsch vergingen nämlich jeweils 30 Minuten.

Plitsch.

Der erste Wassertropfen des Kunst-am-Bau Projekts “Wasserstelle” trifft auf den Boden. In Zukunft wird hier ein Stalagmit entstehen, auf dem Boden eines Neubaus. Kaum zu glauben.

Wir schreiben das Jahr 2003. Peter Trachsel, Gründer der Künstlergruppe “die Hasena”, gewinnt den Wettbewerb für ein Kunst-am-Bau Projekt im Neubau des Naturwissenschaftsgebäudes der EMS. Auf der Fassade prangen gross die Buchstaben “Wasserstelle”. Aber warum eigentlich? Niemand scheint das so genau zu wissen. Fragt man andere Schüler oder Schülerinnen nach der Bedeutung der «Wasserstelle», bekommt man Antworten wie «vielleicht hat es etwas mit dem Teich zu tun» oder «Wasserstelle…Wasserschloss Schweiz…Schraubach? Mehr fällt mir dazu auch nicht ein.»

Platsch.

Ein Thema zieht sich stets durch (fast) alle Arbeiten von Peter Trachsel: Kommunikation, Interaktion, Verbindung. Er schafft Verbindungen, wo andere keine sehen, häufig auf Wegen, die noch niemand zuvor gegangen ist. Einen Künstler wie ihn interessiert nicht die starre Architektur, die ihre Form für viele Jahre nicht verändern wird. Ihn interessieren die Menschen, die Schüler und Schülerinnen, die tagtäglich das Gebäude betreten und verlassen, die lediglich einen kurzen Abschnitt ihres Lebens in dieser Schule verbringen und deren Weg sie in alle Teile der Welt führen wird. Auch wenn sich das Gebäude äusserlich also nicht verändert, verändert es sich doch mit den Jugendlichen, die kommen und gehen, und auch wenn sie weggehen, etwas hinterlassen. Etwas hinterlassen würde auch Trachsels Projekt. An der Decke des neu aufgestockten Gebäudes befestigte er ein Kupferrohr, aus dem alle 30 Minuten ein Wassertropfen durch das Treppenhaus auf den Boden des untersten Stockwerks fallen würde. Durch das stetige Auftreffen von Wasser auf dem Boden würde von unten ein Stalagmit in die Höhe wachsen.

Plitsch.

Also, was ist die Wasserstelle nun wirklich? Die Wasserstelle ist eine soziale Plastik. Die Theorie der sozialen Plastik besagt, dass jeder Mensch durch Kreativität die Gesellschaft beeinflussen kann. Oder wie Joseph Beuys es zusammenfasste: «Jeder Mensch ist ein Künstler.» Zusätzlich zu dem «Dynamischen» der sich ständig bewegenden Schülerschaft suchte der Künstler also nach einer Verbindung, die über die Clus, ja sogar über die Grenzen der Schweiz, hinausreicht und etwas in der Gesellschaft bewirken kann. Dabei stiess er auf ein Projekt des HEKS (Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz), das in Negros eine Landwirtschaftsschule betreute. Die Hälfte des Geldes, das er für sein Projekt erhielt, ging an diese Schule. Im Rahmen des Projekts hat sich eine Klasse der EMS Schiers mit den Problemen der Entwicklungszusammenarbeit zwischen der Schweiz und den Philippinen beschäftigt. Diese Klasse stand im ständigen Austausch mit der Schule in Negros, wohin sie am Ende des Jahres mit dem gesammelten Geld auch reisen würden. Damit wollte Trachsel eine Verbindung herstellen, die Zukunft hat, die genauso wächst wie der Stalagmit im Naturwissenschaftsgebäude der EMS Schiers.

Platsch.

Wenn man im Treppenhaus einmal stehen bleibt und nach oben schaut, sieht man immer noch das Rohr an der Decke, und blickt man nach unten, sieht man eine raue Stelle am Boden des untersten Stocks, wo der Untergrund des Stalagmiten, eine Metallplatte, befestigt war. Das ist alles, was von dem geplanten Stalagmiten heute noch übrig ist. Aber nicht alles, was zur Wasserstelle gehört. Ich hoffe, dass wir miteinander sprechen werden. Ich gebe dir die Ansicht der Blumen, wie wir sie geordnet haben. Die Bibliothek, der Garten der Worte. Jetzt wird es eine Lust zu Leben. Wie oft haben wir diese Sätze schon gelesen und uns gefragt, warum sie wohl gerade dort an der Wand stehen! Ebenso wie die Tafeln mit den philippinischen und Prättigauer Ortsnamen, oder diejenigen mit den drei Grundfarben rot, blau und gelb, aus denen man jede Farbe mischen kann. Und die eine Schaukasten-Scheibe im ersten Stock, die eigentlich das ganze Geheimnis verrät, nur wird sie kaum beachtet. Und wenn, dann rümpft man höchstens die Nase. Negros? Wo im Prättigau soll das denn sein? Im Prättigau liegt Negros natürlich nicht, dafür aber am anderen Ende der Wasserstelle, zumindest metaphorisch gesehen. Eine schöne Vorstellung ist es trotzdem: Die Wasserstelle, an der man sich zu früheren Zeiten traf, um Wasser zu holen oder das Vieh zu tränken. An dieser Stelle sollten sich die beiden Schulen treffen, sich austauschen und gemeinsam an ihren Ideen wachsen.

Plitsch.

Die Wassertropfen wurden nach kurzer Zeit wieder ausgeschalten. Mit ihnen geriet auch ein Teil des Geheimnisses um das Wort Wasserstelle in Vergessenheit.

Platsch.

Wenn ihr das nächste Mal das Naturwissenschaftsgebäude betretet, hört ganz genau hin. Leise, ganz leise, hallt das Plitsch Platsch der Wasserstelle immer noch von den Wänden wider.

Plitsch. Platsch.

Der Wassertropfen-Hahn. Fotografin: Tabea

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