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Ein Fest der Superlative – ein Erlebnisbericht über das Eidgenössische Turnfest in Aarau

Marion. Nur alle 6 Jahre steht für alle Turnvereine des Landes das Eidgenössische Turnfest auf dem Jahresprogramm. Die gesamte Turnerschweiz trifft sich an zwei Juni-Wochenenden, um sich untereinander zu messen. Auch wenn am Tag alles gegeben wird, sind die Turner und Turnerinnen auch für ihre ausgelassenen Partys bekannt. Doch wie läuft das alles wirklich ab? Ein Erlebnisbericht über das Eidgenössische Turnfest 2019 in Aarau.

Samstagmorgen 9.10 Uhr am Bahnhof in Landquart. Gemeinsam mit meinen Vereinskollegen- und Kolleginnen des BTV Schiers steigen ich in den Zug in Richtung Zürich. Unser Ziel ist das Festgelände des Eidgenössischen Turnfests in Aarau. Gut eineinhalb Stunden Zugfahrt liegt nun vor uns. Als kurze Erläuterung: Am ersten Wochenende fanden die Einzelwettkämpfe und die Vereinswettkämpfe der Jugend statt, während nun heute am zweiten Wochenende die Vereinswettkämpfe der Aktiven ausgetragen werden. Der Wettkampf ist dreiteilig, dies bedeutet drei Noten zwischen null und zehn kommen in die Wertung. Alle Vereine werden je nach Anzahl eingesetzter TurnerInnen in vier Stärkeklassen eingeteilt. Der Sieger der Stärkeklasse 1 (am meisten eingesetzte TurnerInnen) ist Turnfestsieger. Der BTV Schiers findet sich in der 3. Stärkeklasse. Kaum haben wir uns in den Zug gesetzt, fangen unsere „Jüngeren“ damit an, den Wagen mit lauter Musik zu unterhalten. Während andere sich schon angeregt über die Resultate der bereits gestarteten Bünder Vereine unterhalten und schon nervös sind, bin ich noch ganz entspannt und würde am liebsten noch etwas schlafen. Doch auch ich diskutiere mit. Am Anfang des Jahres haben wir uns ein Ziel gesetzt. Wir wollen der beste Verein aus dem Kanton Graubünden am Eidgenössischen Turnfest (kurz ETF) sein. Unsere Konkurrenz sind vor allem die Vereine TV Malans, TV Jenins, TV Maienfeld, TV Trimmis und der TV Rhäzüns. Alle diese Vereine hatten schon am Donnerstag oder Freitag abgeliefert. Während sich die ersten vier Vereine innerhalb 5 Hundertstel befinden (zwischen 28.16 und 28.21), hat der TV Rhäzüns mit 28.75 massiv vorgelegt. Wir wissen, dass am heutigen Tag alles aufgehen muss, um diesen Verein zu schlagen.

Angekommen in Aarau begeben sich unsere zwei Hauptleiter zu Meldestelle, während ich und eine Kollegin unseren Verein auf das Festgelände zur Turnhalle Schachen führen. Leider macht uns der Festumzug einen kleinen Strich durch die Rechnung und wir verlieren zehn Minuten unserer wertvollen Zeit. Angekommen im Schachen haben wir noch eine gute Stunde Freizeit, um das Festgelände und die Festzelte zu begutachten. Danach treffen wir uns zur abgemachten Zeit.. Gemeinsam bewegen wir uns in das 15 Minuten entfernte Pendelzelt, wo acht unserer Mitglieder eine Pendelstafette laufen. Dies ist unser erster Wettkampfteil und das Ziel steht deutlich fest, die Note 10.00 muss her. Nachdem man an den Vorbereitungswettkämpfen zweimal knapp an der 10.00 vorbeigesprintet ist, ist die Devise unseres Obersturners klar. Dementsprechend motiviert machen sich unsere Sprinter und Sprinterinnen ans Einwärmen. Für mich und die anderen Nicht-Sprinter heisst das, noch etwas die Füsse hochlagern. Um 14.30 Uhr startet der BTV Schiers in den Wettkampf. Wir Fans verteilen uns an der 80 Meter langen Laufbahn, welche einem Acker gleicht. Unsere SprinterInnen stehen in den Startlöchern. Dann geht alles sehr schnell, viermal hoch und viermal runter und alles ist vorbei. Es wird angefeuert, gerufen und das Sprintzelt gleicht einem Fussballstadion. Danach geht es nicht lange und wir alle stehen im Kreis und unser Oberturner verkündet uns die Note: 10.00!! Das erste Ziel ist geschafft und nun wissen wir alle, dass heute grosses geschehen könnte.

Während wir Turner uns in Richtung Gerätezelt verschieben und unsere Sachen dort platzieren, verschwindet eine kleine Gruppe unseres Vereins zu den Hochsprunganlagen. Unser zweiter Wettkampfteil besteht nämlich aus einer Gerätekombination, bei welcher mir das Barren- mit dem Reckturnen verbinden, und dem Hochsprung. Als wir unsere Sachen irgendwo neben dem Gerätezelt platziert haben, machen wir uns auf zum Einwärmen. Auf einer schattigen Wiese machen wir unser Programm einmal „trocken“ durch. Das bedeutet, wir lassen unsere Musik laufen und turnen die Übungen im Kopf mit. Danach wärmen wir noch unsere Muskeln auf, bevor wir zur mentalen Vorbereitung übergehen. Manche benötigen das nicht, doch ich mache meistens mein Programm noch zwei bis dreimal im Kopf durch, um mich an jedes kleinste Detail, das ich verbessern muss zu erinnern. Um 16.00 Uhr treffen wir im Gerätezelt ein. Da wir eine etwas spezielle Aufstellkonstruktion haben, muss alles sehr schnell gehen. Innerhalb von fünf Minuten müssen wir zwei Recks, zwischen 3 Barren schrauben und testen, ob wir daran turnen können. Heute glückt alles sehr schnell und wir können mit dem Einturnen an den Geräten beginnen. Exakt drei Minuten haben wir dafür Zeit, überschreiten wir diese Zeit, bekommen wir den ersten Notenabzug. Beim Einturnen ist jeder anders, an einem Wettkampf bin ich nicht so erpicht darauf viel einzuturnen. Ich verlasse mich dabei auf meine Routine. Heute sind wir sogar etwas zu früh fertig und wir haben genug Zeit, uns noch aufmunternde Worte zuzusprechen. Unsere Hauptleiterin spricht uns Mut zu und wir sind bereit. Alle bewegen sich auf ihren Platz und nehmen ihre Position ein, die Musik beginnt. Was dann geschieht, ist magisch, noch nie habe ich so etwas erlebt. Die Stimmung im Zelt ist genial. Ich habe Gänsehaut am ganzen Körper, und dies während dem Turnen. Ich denke, keinem von uns ist das Programm in dieser Saison je so gut geglückt wie heute. Ich kann gar nicht aufhören zu grinsen, nach jeder Übung, die ich geturnt habe, erblicke ich Menschen, die ich kenne. Für genau solche Momente führt man den Turnsport aus. Sobald die Musik ausklingt, klatschen wir uns ab und fallen uns in die Arme, wir wissen, dass wir das Beste gezeigt haben, was wir können. Wir treffen uns danach wieder bei unseren deponierten Sachen und warten gespannt auf die Note. Insgeheim hoffe ich auf eine hohe Note, doch aussprechen möchte ich es nicht. Doch mit dieser Note hat dann doch niemand gerechnet. 9.64 ist die erturnte Note, da gibt es kein Halten mehr. Wir fallen uns in die Arme und freuen uns gemeinsam. Schon hier fliessen bei mir die ersten Tränen vor Freude. Die Note unserer Hochspringer erfahren wir etwas später auch noch, obwohl sie etwas Pech hatten, erreichen sie die gute Note 9.07.

Die Hälfte von uns findet sich nun auf dem Weg in die Turnhalle Schachen, wo wir um 18.06 Uhr unser Sprungprogramm zum Besten geben. Die andere Hälfte macht sich auf den Weg zum Fachtest, kurz FTA. Das ist ein Geschicklichkeitsspiel mit Bällen und das Ganze geht auf Zeit. Ungefähr so läuft FTA ab, genauer kann ich es auch nicht erklären. FTA und Sprung bilden gemeinsam unseren dritten Wettkampfteil. Aber nun zurück zum Sprung. Erneut müssen wir uns aufwärmen und das Programm „trocken“ üben. Routiniert turnen wir ein, wir sind bereit in der Turnhalle Schachen, dem „Hexenkessel“ alles zu geben. Leider haben die Organisatoren etwas Verspätung und wir müssen nun zehn Minuten länger mit unserer Nervosität umgehen. Gebannt schauen wir dem vor uns turnenden Verein zu. Es ist der STV Rickenbach, ein Verein, der eine der besten Sprungsektionen der ganzen Schweiz hat. Ich bin angespannt und nervös, weil ich nicht weiss, was nach so einem Verein für uns möglich ist. Konzentriert turnen wir an den Geräten ein, die Nervosität ist zu spüren und vielen gelingen die Sprünge im Einturnen noch nicht wie gewünscht. Doch auch hier liefern wir etwas vom Besten ab, was wir die ganze Saison gezeigt haben. Auch wenn ich mit meinem Durchgang nicht zufrieden bin, war die Stimmung wieder bombastisch. Es ist eine riesen Freude, vor so einem Publikum zu turnen. Weil es in der Halle so warm ist, verlassen wir sie kurz nach unserem Auftritt wieder. Wir begeben uns an unseren Sammelplatz, wo wir auf unserer FTA Kollegen warten. Ich bin angespannt, der FTA hat dieses Jahr noch keine bessere Note als eine 8.40 erturnt. Auch heute kommen sie mit gesenkten Köpfen zurück. Ich gehe schon vom Schlimmsten aus. Wir stellen uns im Kreis auf und die Noten werden verkündet. Wie sich herausstellt, hat der FTA nur mit uns gespielt und sie erzielen eine 9.49. Als die Sprungnote 9.39 verkündet wird, gibt es kein Halten mehr. Unser Schlusstotal ist 28.90, und somit sind wir der beste Bündner Verein. Wir liegen uns in den Armen und freuen uns. Bei einigen, inklusive mir, fliessen die Tränen. Der Druck, den ich mir selbst aufgebaut habe, fällt von mir ab. Wir haben unser Ziel erreicht.

Was dann kommt, ist das, wofür Turnfester bekannt sind. Irgendjemand aus dem Verein kauft Bier und wir stossen gemeinsam auf den Erfolg an. Nach einigen kühlen Getränken verschieben wir uns in die Dusche, wo mit Champagner und Musik weitergefeiert wird. Nachdem auch die letzten langsamen Frauen sich für den Abend hübsch gemacht haben, entscheidet unser Oberturnen, dass wir den Zeltplatz gar nicht beziehen, weil wir dann viel Zeit verlieren würden. Da wir erst um halb sieben unseren Wettkampf beendet haben, ist es nun schon halb neun. Wir begeben uns daher direkt zum „Turnerznacht“. Ein Riz Casimir rundet den gelungenen Turntag ab.

Aber jetzt heisst es ab ins Getümmel. Die vier riesigen Festzelte sind voll. Voll ist eher untertrieben, die ganze Turnerschweiz quetscht sich in diese vier Zelte. Es ist schwer, seinen Verein dort nicht zu verlieren. Hie und da kenne ich jemanden und wir unterhalten uns kurz. Und so verstreicht der Abend wie im Nu. Viele Menschen sind schon früh recht angetrunken. Aber grundsätzlich gehört auch dies zu einem Turnfest. Während andere sich dazu entscheiden irgendwann auf den Zeltplatz zu gehen, haben ich und einige Vereinskollegen das Gefühl, dass es sich gar nicht lohnt unser Zelt aufzusuchen. Und wir geniessen die lange Partynacht. Es wird getrunken und getanzt, die Stimmung ist toll. Bald schon ist es 9.00 Uhr morgens und wir sind immer noch gut gelaunt in einem Festzelt. Um 11 Uhr entscheide ich mich dazu, gemeinsam mit einigen aus meinem Verein die Schlussfeier zu besuchen. Wir verschieben uns ins Stadion Brügglifeld und geniessen die zweistündige Zeremonie. Ich kann nicht leugnen, dass mir doch einige Male die Augen zugefallen sind.

Um 14.00 Uhr begeben wir uns auf den Weg in Richtung Bündnerland. Auch im Zug geht das Fest weiter. In Schiers lassen wir den Abend bei einem gemeinsamen Abendessen ausklingen. Die Stimmung ist immer noch bombastisch. Ein unglaubliches Turnfest und eine perfekte Saison gehen in diesen Stunden zu Ende. Schlussendlich haben wir in der dritten Stärkeklasse den 8. Rang erturnt und haben somit alle unsere Erwartungen übertroffen. Das ETF 2019 wird mir sicherlich immer in Erinnerung bleiben, denn so etwas erlebt man nicht alle Tage. Dieses Turnfest hat mir einmal mehr gezeigt, wieso ich den Turnsport so sehr liebe. Erschöpft aber überglücklich lasse ich mich am Sonntagabend ins Bett fallen.

Bilder: Marion.

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