EMS-Press

Online Magazin des Freifachs Journalismus und Medien der EMS Schiers

Die Auserwählte Teil 1

Geschichte. Das langweiligste Fach der Welt. Unser Lehrer grummelte vor der Tafel irgendwelche Jahreszahlen über das Mittelalter und in der Reihe vor mir tuschelten die Mädchen über die Jungs, die in der hintersten Reihe einen Armdrückwettbewerb veranstalteten. Ich kritzelte in meinem Heft herum und schaute alle paar Sekunden auf die Uhr. Plötzlich war es still. Jemand hatte geklopft. «Jordan, öffne bitte die Tür!» Der blonde Typ, der neben der Tür sass, öffnete diese und gab den Blick frei auf einen grossen Mann in Anzug mit schwarzer Sonnenbrille. Er sah aus, als ob er direkt aus einem Agentenfilm entsprungen sei. Er liess seinen Blick durch das Klassenzimmer schweifen und hielt inne, als sein Blick mich durchbohrte. «Elara Apollona», seine tiefe Stimme hallte durch das Klassenzimmer und liess unseren Lehrer aus seiner Starre erwachen. «Dürfte ich erfahren, wer Sie sind und was Sie von meiner Schülerin wollen?», seine Stimme zitterte, er war einen Kopf kleiner als der Agent, der meinen Namen sagte. «Elara Apollona. Ich bin im Auftrag ihres Vaters hier. Sie kommt mit mir mit!» Seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Trotzdem, was wollte der Typ? Und wieso im Auftrag meines Vaters? Mein Vater war tot. Das hatte meine Mutter mir immer gesagt. Ich schüttelte den Kopf. «Tut mir leid, aber das muss eine Verwechslung sein!» 
Der Typ lachte auf, dann wurde er wieder ernst. «Keine Verwechslung Mädchen. Du kommst mit mir. Das ist meine Dienstmarke!» Er zückte ein kleines Portemonnaie und gab mir eine offizielle Dienstmarke der Polizei von Bern. Wir waren hier in Zürich, wieso kam da ein Polizist aus Bern hierher? Fragend schaute ich zwischen der Dienstmarke und dem Polizist hin und her. «Ist was?», fragte der Typ und ich nicke. «Wieso kommen sie extra aus Bern hierher? Wenn sie gerade so gut einen Zürcher schicken könnten?» Der Polizist, der nach seiner Marke Hermes Hermanus hiess, schaute verwirrt. «Na weil Ihr Vater in Bern wohnt. Kommen Sie jetzt?» Ich zögerte. Einerseits war ich neugierig auf das, was mein Vater von mir wollte, andererseits konnte das auch ein Betrüger sein, der mich entführen wollte. Bei dieser Theorie wusste ich nur nicht, wieso der das so öffentlich machte und nicht nach der Schule, zum Beispiel auf dem Heimweg. Da wäre es doch viel leichter. Sollte ich davon ausgehen, dass er die Wahrheit sagte? Langsam stand ich auf, im vollen Bewusstsein, dass zwanzig Augenpaare jede meiner Bewegungen genaustens registrierten. 
Ich folgte dem Polizisten durch die Schule und auf den Parkplatz.
Auf dem Parkplatz standen wie immer kleine Schrottwägelchen, Cabrios und Angeberautos. Anders jedoch war die Schlange Stretchlimousinen vor dem Haupteingang. Und auf eine dieser schicken, schwarzlackierten Autos steuerte der Polizist jetzt zu. Wieso war da kein Polizeiauto? Egal, das war sowas von abgefahren. Mein Vater musste ja stinkreich sein! Und ich arbeitete samstags immer in einer heruntergekommenen Bar hinter der Theke? Ein Pinguintyp stieg aus der Fahrerkabine der Limousine, auf die wir gerade zusteuerten und öffnete mir die Tür. Im Innenraum war die Limousine sogar noch luxuriöser. Es gab eine Minibar, Ledersitztreihen, einen Fernseher, riesige, getönte Fenster und weiche Kissen. Hermes Hermanus stieg hinter mir ein, dann fuhren wir los. Einmal quer durch Zürich auf die Autobahn. «Also. Möchtest du was trinken? Oder essen? Sam, fahr uns zu McDonald’s!» Innerlich grinse ich, denn die Situation war sehr komisch. Ohne irgendeine Frage oder Geste fuhren wir schon zu McDonald’s. «Wer ist denn eigentlich mein Vater?» Diese Frage konnte ich mir einfach nicht verkneifen. Hermes nahm seine Sonnenbrille ab. «Dein Vater ist ein sehr wichtiger Mann in der Geschichte der Welt, im Moment ist er Bundespräsident. Aber nach seiner Amtszeit wird er vermutlich zurück nach Hollywood gehen und seine Karriere ein wenig vorantreiben. Oder nach Paris, das muss noch bekannt gegeben werden. Was willst du essen?» Wir waren in einem Drive- In und unser Fahrer bestellte. Ich nahm ein grosses Menu mit Cola und realisierte erst da so wirklich, was Hermes mir da erzählt hatte. Mein Vater war Bundespräsident? Mein Vater war James Apollona? Klar, ich hatte mich ein paarmal gefragt, ob ich mit dem Typen verwandt sei, denn unser Nachname war nicht sehr geläufig, aber ich dachte nie im Leben, dass das mein Vater sein könnte.  
Hermes zog Kopfhörer heraus und verband sie mit seinem Handy, setzte die Sonnenbrille wieder auf und ich vermutete, dass er schlief. 
Ich starrte aus dem Fenster und sah zu, wie die Landschaft an uns vorüberzog. Vorbei an Lenzburg, vorbei an Zofingen, vorbei an Sankt Niklaus und wir waren in Bern. Wir hielten an einem grossen Parkplatz. Hermes stopfte seine Kopfhörer in die Hosentasche und geleitete mich zu einem unauffälligen silbernen Auto. Dann fuhren wir in einen schicken Stadtteil, in dem mehrere grosse Villen standen. Vor einem dieser Anwesen blieb das Auto stehen und wir stiegen aus. Hermes nickte den beiden Securitys vor dem schmiedeeisernen Tor zu und die öffneten den rechten Torflügel. Dahinter erstreckte sich ein Weg der von wunderschönen, alten Eichen gesäumt war. Ich musste Hermes fast hinterherspringen, er hatte einen unglaublich schnellen Schritt drauf. Hinter den Bäumen blitzte einmal ein See auf, in dem mehrere Schwäne schwammen. Dann gaben die Bäume endlich den Blick frei auf ein wunderschönes Haus. Das Haus war im antiken griechischen Stil gebaut. Sozusagen ein griechischer Tempel. Als ich zehn Jahre alt war ging meine Mutter mit mir nach Griechenland in die Ferien, der Tempel der Athena und der Nike auf der Akropolis werde ich nie vergessen. Auch die Ruinen von Zeus in der Innenstadt von Athen und Poseidon in Sunion blieben mir für immer in Erinnerung.  
Hermes liess mir den Vortritt über die weisse Marmortreppe hinauf, zwischen den hohen Säulen hindurch zur Tür, die sofort von Angestellten aufgezogen wurde. Ich war in einer riesigen Halle, in deren Mitte ein grosser Kronleuchter hing. Ob das echte Diamanten waren? Verwundern würde es mich nicht mehr. Ein Mann mittleren Alters kam die geschwungene Treppe hinunter und trat auf mich zu. «Hallo, Elara» Das war mein Vater? Sollte ich ihn umarmen? Die Hand schütteln? Irgendetwas?  
«Hermes hat dir erklärt, wer ich bin?» Ich nickte. «Du bist James Apollona, Bundespräsident der Schweiz» Mein Vater schüttelte den Kopf. «Nicht so ganz. Ich heisse Apollo, nur Apollo, James ist nur ein Deckname. Kennst du dich aus mit der griechischen Mythologie?» Apollo? Griechische Mythologie? «Naja, wir haben das vermutlich mal durchgenommen, aber unser Geschichtslehrer ist eine langweilige Schnarchnase und ich bin in Geschichte eine Niete. Aber ich war mal in Griechenland. Auf der Akropolis haben Athena und Nike je einen Tempel, dann gibt es die olympischen Götter Zeus, Poseidon, Hera, Dionysos, Hephaisto, Demeter, Ares, Aphrodite, Artemis, Hermes und Apollo. Und Nebengötter wie Ha-« Mein Vater stoppte meinen Redefluss, indem er die Hand hob. «Du musst mir keine Vorträge darüber halten, Elara. Ich kenne mich gut genug aus, weisst du. Fällt dir irgendetwas auf?» Nun, da er so direkt fragte; «Nö, sorry» Er schnaubte. «Also, ich werde dir alles erklären. Aber nicht hier, sondern bei einer Tasse Tee.» Er führte mich durch eine goldene Tür in einen noblen Salon und liess sich in einen Sessel fallen. Ich setzte mich auf den gegenüberliegenden Sessel und wartete. Nach ein paar Sekunden trat eine Frau ein, die ein Tablet mit einem ganzen Teeservice brachte.  
«Nun», begann mein Vater, als die Frau verschwand und ich einen Schluck Pfefferminztee getrunken hatte. «Ich habe dir schon erklärt, dass ich Apollo bin, aber ich glaube du hast mich nicht so ganz verstanden. Ich bin DER Apollo. Der Gott Apollo. Der Gott der Heilkunst, der Sonne, des Frühlings, des Bogenschiessens, der Weissagung und der Künste, insbesondere der Dicht- und Gesangskunst. Und dein Vater. Das heisst, dass du eine Halbgöttin bist.» Warte was? Halbgöttin? Apollo? Gott?  
Apollo musste mir meine Verwirrung ansehen. Oder spüren oder meine Gedanken gelesen haben, denn er sagte: «Ja, Elara, die Götter gibt es. Wir sind auf der ganzen Welt an verschiedenen Führungsposten und wichtigen Standorten verteilt. James Apollona zum Beispiel ist nur dieses Jahr Bundespräsident, danach wird Hephaistos unter einem Decknamen in die Schweiz kommen. Ich mache erstmal eine Auszeit und gehe dann wieder in die Promibranche. Das liegt mir irgendwie mehr als Gott der Künste.» Er lachte kurz auf. Sollte ich ihm diesen Unsinn wirklich glauben?  
«Du glaubst mir immer noch nicht, was?» Ich schüttelte den Kopf. «Nicht wirklich, nein» Er grinste. «Komm mal mit» Ich folgte ihm durch die Terrassentür. Da stand ein roter Bobbycar. «Habe ich noch kleine Geschwister?», frage ich meinen Vater, der plötzlich rot wurde. «Ja, also das ist so- wir Götter haben sehr, sehr viele Kinder. Ich weiss nicht genau wie viele. Also ja, du hast kleine Geschwister. Aber auch ganz viele ältere. Solche die schon mehrere Jahrtausende älter sind als du und etwa fünf Halbgötter, die noch leben.» Wie bitte? Ich glaubte der meinte das wirklich ernst. Und als der Bobbycar sich in einen Wagen mit Pferden aus Feuer verwandelte, glaubte ich ihm irgendwie auch. Mein Mund klappte auf. Die Pferde schnaubten, kleine Stichflämmchen verwandelten sich in Rauch, der aus ihren Nüstern schoss. Ich machte reflexartig einen Sprung zur Seite. Mein Vater strich dem feurigsten Pferd über die Stirn und stieg dann in den Wagen. «Kommst du?» Ich sollte in dieses Feuer steigen? Andererseits, meinem Vater machte es ja auch nichts. War er wirklich ein Gott? Oder träumte ich das alles?  
Vorsichtig stieg ich hinter meinem Vater auf den Feuerwagen. Er liess eine Peitsche aus Rauch durch die Luft knallen und die Pferde sprangen los. Direkt in den Himmel auf die Sonne zu. Okay, das war ganz klar ein Traum, wir konnten doch nicht wirklich fliegen? Ich zwickte mich in den Arm, doch das tat wirklich ziemlich weh!  
«Kein Traum, Elara. Du bist eine Halbgöttin. Eine Tochter Apollos!» Das musste ich erst verdauen. Ich wollte gerade einmal tief ein und ausatmen als die Pferde einen erschrockenen Satz machten und ich hinten aus dem Wagen fiel. Ich fiel. Und fiel. Immer schneller auf die Erde zu. 
«ELARA! DU MUSST SINGEN!» Schrie die Stimme von Apollo in meinem Kopf. Singen? Wieso singen? Klar, ich hatte keine schlechte Stimme, meine Freunde sagten ich könnte eine Karriere als Sängerin anfangen, aber was sollte mir das jetzt bringen?  
Egal, Apollo war ein Gott, er musste also irgendeinen Plan haben. Fieberhaft suchte ich nach einem Song. Der erste der mir einfiel war der Titelsong von Titanic. Er passte irgendwie zu meiner Situation, ich war ja auch in Lebensgefahr. Also fing ich an zu singen. Doch die Erde kam immer näher und ich fiel immer noch in rasanten Tempo. «SING DEINEN EIGENEN TEXT!» Schrie Apollo in meinem Kopf. 
«SING DASS DU LANGSAMER WIRST. DASS DU FLIEGEN KANNST! UND DANN GLAUBE DARAN!» Natürlich. Ich konnte fliegen. 
Ich änderte den Text und sang davon dass ich fliegen konnte. Keine Ahnung wie das ging, aber ich wurde tatsächlich langsamer. Immer noch summte ich vor mich hin und irgendwie funktionierte es. Ich konnte nun in der Luft stehen. Langsam summte ich weiter. Mein Körper sank langsam auf die Erde. Ich erkannte das Anwesen, auf dem ich vermutlich landen würde, das Haus meines Vaters. Der ein Gott war. Der Gott der Künste. Zum Glück. Ansonsten hätte meine Gesangseinlage vermutlich nicht funktioniert. Aber, wie hatte das überhaupt funktioniert? Apollo landete neben mir, sein Sonnenwagen ein Bobbycar. 
«Das war gut, Elara. Du hast also eine magische Stimme. Hast du auch heilende Fähigkeiten?» Ich zuckte mit den Schultern. «Keine Ahnung», blitzartig kam Apollo auf mich zu, in der Hand hielt er plötzlich ein Schwert. Dann ritzte er mir damit den Arm auf. Ich wollte aufschreien, sah dann aber keinen Grund dazu, denn meine Haut blutete nur einen Augenblick, dann schloss sich die Wunde.  
«Du hast also eine magische Stimme und Heilkräfte. Wahrscheinlich kannst du also nicht in die Zukunft blicken, Pflanzen wachsen lassen oder Feuer beherrschen. Wenn du Glück hast, kannst du jedoch mit Pfeil und Bogen umgehen. Meine Kinder, also die Halbgötter, haben immer eine dieser Fähigkeiten, oder zwei. Du wirst eine mächtige Halbgöttin, Elara Apollona.» Mit diesen Worten lief er davon. Als ich ihm nachlief sah ich nur noch einen goldenen Blitz, der mir in den Augen brannte. Dann wurde alles schwarz.  

Bild: Elara Apollona illustriert von Ladina

Text: Selina

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